Ein Kinoabend: Mittagsstunde

Manchmal bekommt man ja völlig ungewollt Neuigkeiten mitgeteilt. Zum Beispiel beim Friseur. Früher waren dort die abgeteilten Kabinen üblich, damit nicht jeder Kunde sehen konnte, wie zum Beispiel ein zur Dauerwelle mit kleinen Wicklern entstellter Kopf aussieht. Ein schöner Anblick ist es ja nicht gerade. Diese Kabinen täuschten eine Privatzone vor. Zu sehen war niemand, aber sehr wohl zu hören. Diese „Abteilungen“ sind nicht mehr üblich. Trotzdem sind gerade beim Friseur manche Menschen mit ihren Mitteilungen sehr freigiebig. Nicht nur beim Friseur, auch in Reisebussen.
Wir hatten eine längere Fahrt vor uns und waren schon um 6 Uhr vom Betriebshof des Reisedienstes in Schuby gestartet. Es war noch dunkel. Als alle Fahrgäste so nach und nach unterwegs noch „eingesammelt“ worden waren, fielen die meisten noch mal in den Schlaf, denn die Sitze im Bus sind ja dafür auch eingerichtet. Ab und zu war ein leises Schnarchen zu hören. Andere dösten vor sich hin. Ich hatte meine Kopfhörer im Ohr und hörte Musik. Nach einiger Zeit wurde es im Bus langsam „lebendig“. Von zuhause mitgebrachte Zeitungen wurden hervorgeholt und ausgetauscht, und Gespräche kamen langsam in Gang. Der eine oder andere hatte auch ein Frühstückspaket dabei. Ein paar Reihen hinter uns ging es lebhaft zu. Ein paar Damen führten ein lauteres Gespräch. „ Se hem ehr eenfach utquarteert, stell di dat vör! Nu mutt se in een Ferienwahnung husen, solang as dat dor duhrt mit de Filmlüüd!“ Ich spitzte die Ohren. Das war ja interessant. „Wat will se dor ok ganz alleen! Dat Hus is jo veel to groot för ehr. De dore Krog is aver bestens dorför utsöcht“, meinte die andere Person. „Dor is nie wat maakt worn, all de Johren nich, is jümmer noch as fröher. Beter kann dat gor nich sien.“
Aha. Bei mir fiel der Groschen. Es konnte sich nur um unsere Schwägerin handeln. Sie wohnte ja in einem alten Dorfkrug. Und ganz allein, nach dem Tod ihres Mannes. Und dort würde „Mittagsstunde“ nun also gedreht werden! Ein idealer Ort, war auch mein Gedanke. Das Buch hatten wir gern gelesen. Wir waren schon lange gespannt auf die angekündigte Verfilmung des Bestseller-Romans von Dörte Hansen.
Als wir wieder zu Hause waren, rief ich unsere Schwägerin an, nachdem ich ihre Handynummer bei ihren Kindern erfahren hatte. Ich wusste ja nun, dass sie zurzeit nicht zu Hause wohnte. Ich erzählte ihr was wir im Reisebus erfahren hatten. Sie lachte. Sie fühlte sich sehr wohl in der Ferienwohnung. Von dort konnte sie sogar das Treiben um den Krug herum auch beobachten. „Dat is interessant, wi sünd af un to ok Komparsen! Nu passeert hier doch mol wat! Uns lütte Enkelin is ‚Klein Ingwer‘, und wi sünd ok mit to sehn! Wi schulln in de Schenkstuuv sitten und Korten speelen! Und wenn de Film in de Kinos kümmt, denn hem wi Friekorten!“
Im Herbst dann konnten wir es kaum abwarten, den Film im Kino anzusehen. Ich rief in Schleswig beim Kino an, um Karten zu reservieren. „Das geht leider nur online!“, bekam ich zur Antwort. Wie ärgerlich! Damit wollte ich mich nicht befassen. Aber mit meinem Smartphone konnte ich das Kino in Kappeln heraussuchen. Da war auch eine Telefonnummer angegeben. Ein freundlicher Herr meldete sich. Ich konnte per Telefon Karten reservieren für die hinterste Reihe. Außerdem begann der Film auch früher als in Schleswig. Das war uns nur recht.
In Kappeln angekommen, hatten wir noch reichlich Zeit. Es sah von außen noch immer aus wie früher, das schöne kleine Capitol. Ich erinnerte mich an den ersten Film überhaupt, den ich dort gesehen hatte: „Das Wirtshaus im Spessart“ mit Lilo Pulver und Curd Jürgens. Lang, lang war‘s her! Dann kamen die „Peter und Conny“-Musikfilme und Freddy Quinn mit seiner „Gitarre und das Meer“. Merkwürdigerweise kann ich mich an danach folgende Filme nicht mehr erinnern. So oft war ich später auch nicht mehr dort gewesen, weil ich nicht mehr in der Nähe wohnte.
Wir gingen hinein und stellten voller Freude fest, dass sich auch hier nichts geändert hatte. Es roch nach Popcorn, wie es sich für ein Kino gehört. In der letzten Reihe nahmen wir Platz und mussten ab und zu aufstehen, um doch noch mal jemanden durchzulassen. Neben mir saß dann plötzlich eine alte Bekannte, die ich „ewig“ nicht gesehen hatte. So gab es noch ein Wiedersehen, mit dem ich nicht gerechnet hatte und einen kleinen Schnack.
Das Kino füllte sich nach und nach. Es waren fast alle Plätze besetzt. Der Film erfüllte unsere Erwartungen. Die Dialoge waren tatsächlich meist auf Platt mit hochdeutschen Untertiteln. Die Charaktere waren sehr gut besetzt und vor allem der Hauptdarsteller Charly Hübner spielte den Ingwer Feddersen sehr überzeugend.
Wer das Buch gelesen hatte, konnte natürlich doch einiges vermissen. Aber im Großen und Ganzen kam der Film beim Publikum sehr gut an. Und wir hatten darin natürlich unsere Schwägerin entdeckt und einige ihrer Familienmitglieder. Es war ein sehr schöner Kinoabend. Wir nahmen uns vor, künftig lieber wieder nach Kappeln ins Kino zu fahren. Wer weiß, wie lange es das kleine Kino dort noch gibt.
Herta Andresen

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