Nur zu Festlichkeiten hervorgeholt: Schapptüch

Schapptüch

Schapptüch – so nennt man hier die Kleidung, die man nur „to Best“ anzieht. Sie hängt im Kleiderschrank und wird nur zu Festlichkeiten hervorgeholt oder zur Beerdigung. Wird sie dann angezogen, so kann es sein, dass sie zu eng ist oder zu weit. Wobei eher Ersteres zutrifft.

Mein Mann und ich wollen zur einer Beerdigung. Ich zwänge mich in meine schwarze Hose hinein und irgendwie geht es auch. Der Reißverschluss geht zu. So ganz zeitgemäß kommt mir die gute Hose dann auch nicht mehr vor. Aber es hilft ja nichts, das muss nun mal so gehen. – Wo ist denn der schwarze Schlips geblieben? Mit mehreren anderen hat er immer da gehangen. Die werden zum Teil auch nicht mehr gebraucht. Inzwischen sind Krawatten nicht mehr so breit. Oder nicht mehr ganz so schmal. Wie trägt man sie überhaupt momentan? Ein Grund, endlich auszusortieren. Es werden doch immer dieselben genommen. Ach, da liegt ja der schwarze Schlips! War nur heruntergefallen. Das weiße Hemd passt noch. Die Schuhe auch. Das ändert sich wohl auch nicht. Wo ist die schwarze Handtasche? Da steht sie im Schrank, ganz nach hinten geschoben. Die Mäntel sind in Ordnung. Nun noch den Schal um. Wir können los.

In der Kirche angekommen stelle ich fest, dass tatsächlich von einigen Damen noch Hüte getragen werden. Sie setzen sie nicht ab, so wie die Männer. Eigentlich hatte ich auch mal daran gedacht, mir einen Hut anzuschaffen. Aber es lohnt sich irgendwie für mich nicht. Vielleicht käme ich mir damit sowieso wie verkleidet vor. Die Herren tragen auch keine Zylinder mehr. Nach der Trauerfeier geht’s zur Kaffeetafel in die Gaststätte nach Süderbrarup. Da sitzen wir also beim Beerdigungskaffee, wie man so sagt. Wir sitzen ziemlich lange am Tisch und schnacken, diese Bekannten haben wir lange nicht mehr gesehen. Wir stellen fest, wie traurig es doch ist, dass man sich nur zu Beerdigungen trifft. Bei dieser Feststellung wird’s wohl bleiben, denke ich so bei mir. Als wir dann wieder bei der Garderobe angekommen sind, hängt da nur noch ein einziger Mantel. Mein Mann greift ihn sich und zieht ihn an. „Das ist nicht mein Mantel!“,ruft er. „Die Ärmel sind viel zu kurz!“ Er streckt die Arme demonstrativ nach vorn. „Und zu eng ist er auch! Wo ist denn der Schal?“ Er hatte ihn von innen in einen Mantelärmel geschoben, wie man das so macht, damit der Schal nicht herunterfällt. Da liegt oder hängt kein Schal. „Merkwürdig. Hier hängt nur ein Mantel, und meiner ist es nicht!“ Bei näherer Betrachtung wird festgestellt, dass dieser übrig gebliebene Mantel mindestens zwei Nummern kleiner ist als der meines Mannes. Außerdem sieht der älter und sogar etwas schäbig aus! Wir fragen bei der Wirtin nach, ob noch woanders Garderobe hängt. Natürlich ist das nicht so. Aber sollte jemand den falschen Mantel zurückbringen, würde sie uns anrufen. Das Schild „Für Garderobe wird nicht gehaftet“hat hier seinen Zweck erfüllt.

Es wird hin- und herüberlegt: Gut, dass der Autoschlüssel nicht in der Manteltasche war! Vielleicht ist der Irrtum gar nicht bemerkt worden? Der gute Mann hat sich wohl beim Rausgehen den Mantel nur über den Arm gehängt, ihn dann auf den Rücksitz des Autos gelegt und ist losgefahren. Zu Hause hat er ihn dann in den Schrank gehängt, und weil es nur Schapptüchist, hängt er da nun bis zum nächsten Gebrauch. Vielleicht hat er keine Frau, die hätte ihn dann wohl weggehängt und es dabei vielleicht doch bemerkt, dass es der falsche Mantel ist. Na, wenn der Mann nun mal wieder sein Schapptüch aus dem Schrank holt, dann wird er es bemerken. Und gar nicht mehr wissen, wo denn sein eigener Mantel geblieben sein könnte. Mit dem viel größeren kann er jedenfalls nicht los!

Spätere Nachfragen ergaben nichts. Der gute Mantel blieb weg. So ein zeitloses gutes Stück, schade drum, und ärgerlich. Es wurde kein neuer gekauft. Es wird ihm aber noch lange nachgetrauert. Und deshalb gibt es diese Geschichte.

Herta Andresen

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*