Unser schöner weißer Hahn ist gestorben. Wir hatten ihn Eddi genannt. Er wurde nicht sehr alt. Das heißt, als wir ihn holten, war er vielleicht schon ein paar Jahre alt, also wissen wir sein Alter nicht so genau. Schade um ihn. Nun müssen unsere Hühner ohne männliche Begleitung auskommen. Eddis Vorgänger wurde immerhin über zwölf Jahre alt.
Es gab immer Hühner in meinem Leben; schließlich bin ich auf dem Land aufgewachsen, wo meine Eltern eine kleine Kate bewirtschafteten. Hühner liefen früher auf fast jedem Hof herum. Bei uns waren es so zwischen 12 bis 15 Stück, einige bunt gefiedert und auch weiße waren dabei und immer ein paar Zwerghühner. Natürlich gehörte ein Hahn dazu, denn es sollte doch Küken geben. Ich erinnere mich daran, wie schön es war, ein so kleines soeben geschlüpftes Küken in der Hand zu haben, ganz sanft, ganz vorsichtig über den weichen Flaum zu streicheln. Unvergesslich gespeichert in mir, diese Kindheitserinnerung. Ich fühlte so etwas wie Ehrfurcht vor diesem kleinen verletzlichen Wesen. Bald schon wuselten die Küken dann mit der Glucke zuerst im Kükenbauer und anschließend im Hühnerhof umher, bei den anderen Hühnern. Dort wurden sie von ihrer Glucke gut beschützt. Sie wuchsen heran, bekamen richtige Federn, und es war zu erkennen, wie viel kleine Hähne dabei waren. Deren Schicksal war ja schon beschlossen.
Mein Bruder und ich knieten oft zwischen den Hühnern im Hühnerhof, streuten das Futter aus und beobachteten das Hühnervolk und den Hahn. Natürlich machte es Spaß, die Eier aus den Nestern im Hühnerstall einzusammeln. Nur wenn ein Huhn gluckte und nicht vom Nest wollte, dann traute ich mich nicht zuzugreifen und zu fühlen, ob ein Ei darunter lag.
Irgendwo beim Holzstall stand ein Haublock. Das dazugehörige Beil lag nicht dabei. Aber bei Bedarf wurde es hervorgeholt, um für Hühnersuppe oder Hahnenbraten zu sorgen. Auf dem Haublock sah man deutlich die Verfärbungen, die seinen Zweck verrieten.
Meine Mutter erzählte uns eine Geschichte aus ihrer Kindheit: Ihre Kusine war einmal von dem Hahn angegriffen worden, als sie morgens zur Toilette ging. Dazu musste man den Hofplatz überqueren, um zu „Tante Meier“ zu gelangen. Es war früh am Morgen. Sie hatte es wohl sehr eilig und lief in ihrem roten Unterrock los. Der Hahn hatte ihr dann den Unterrock von oben bis unten zerfetzt und sie sei schreiend davongelaufen. Ob es sich wirklich so schlimm zugetragen hatte und ob der rote Unterrock dran schuld war, das weiß ich nicht. Aber für mich als Kind war es natürlich eine ziemliche Horrorgeschichte! Daher war ich sehr vorsichtig, wenn ich in den Ferien bei Oma und Opa war. Ich nahm mir immer eine Harke oder einen Besen aus der Loh mit, wenn ich zum Örtchen musste. Nicht nur des Hahns wegen, sondern auch, weil der Ganter mit seinem langen Hals oft zischend auf mich zukam, und ich brachte mich immer möglichst schnell in Sicherheit. Ein Hahn hat mir nie etwas getan. Trotzdem ist bei mir ein gewisser Respekt vor Hähnen vorhanden. Man muss sich ja nur die scharfen, langen Krallen ansehen!
Hühner können wirklich sehr alt werden. Das erkennen wir daran, dass wir unsere Hühner nie schlachten. Sie dürfen ihr Leben lang bei uns herum scharren, auch wenn sie nur wenige Eier legen oder überhaupt gar keine mehr. Während meiner Dienstzeit im Pflegedienst erlebte ich es, wie sich eine alte Dame so sehr freute, als ihr Sohn ihr morgens ein Frühstücksei brachte. Sie erzählte: „Dat is vun de eene Hehn! De is all mindestens twintich Johr old und löppt hier ümmer noch ümbi. De annern Höhner sünd all lang doot. Aff und to leggt dat arme Ding noch een Ei vör mi. So bedankt se sick viellicht dat ehr de Kopp nich aufhaut wart! Na, de wär denn woll ok to toog! De Voss weet dat seker ok.“ Da habe ich doch gestaunt.
Herta Andresen