Mit dem Fahrrad durch Deutschland: Vater-Sohn-Tour

Inzwischen ist gut ein Jahr vergangen, seit unser Sohn Florian und ich um Weihnachten zusammensaßen und übers Radfahren philosophierten. Schnell kamen wir darauf: Von der südlichsten bis zur nördlichsten Stadt Deutschlands sollte die Strecke führen, also Oberstdorf bis Flensburg, in möglichst kurzer Zeit.
Die Planungen waren schnell erledigt: Am 12. August individuelle Anreise von Schnarup-Thumby nach Glinde, per Fahrrad zum Hauptbahnhof Hamburg, mit der Bahn Direktverbindung bis Oberstdorf und dann der Kompassnadel folgend Richtung Norden. Da die günstigsten Tarife der Bahn bekanntermaßen an die Frühbucher gehen, machte Florian die Sache im Februar klar. Für unter hundert Euro pro Person von Hamburg bis zum Ziel, erster Klasse und inklusive Fahrradbeförderung, ein echtes Schnäppchen. Die Nachricht, dass der Zug nicht fahren wird, kam vier Wochen vor Reisebeginn per Email. Glücklicherweise konnte auf Nachfrage beim Reisecenter der DB die Fahrt so umgebucht werden, dass wir unterwegs nur einmal umsteigen müssen.
Es läuft dann auch nicht ganz so wie geplant, und die diversen Geschichten über das Reisen mit der Deutschen Bahn können wir jetzt nachfühlen. Außer der oben genannten Umbuchung können wir die 1. Klasse nicht nutzen, weil dort die Stromversorgung ausgefallen ist, unterwegs fällt die Klimaanlage aus (bei 31°C Außentemperatur!) und in Augsburg muss die Lok wegen eines Defekts ausgetauscht werden. So ist es denn wie ein Wunder, dass wir am Ende nur mit 40 Minuten Verspätung ankommen.
Oberstdorf begrüßt uns mit blauem Himmel, einem überwältigenden Bergpanorama, Windstille und heißen 30°. Logisch, dass uns der erste Weg direkt in die Oberstdorfer Dampfbrauerei zu einem kühlen Bier und rustikalem Essen führt. Der Weg zur Jugendherberge Oberstdorf Kornau bringt uns trotz E-Bike am Ende des Tages noch an unsere Grenzen. Obwohl die Strecke nur 3km lang ist, müssen wir zum Teil 19% Steigung bewältigen. Gefühlt habe ich seit 40 Jahren nicht mehr in einer Jugendherberge übernachtet und entsprechend gering sind die Erwartungen. Wie früher gibt es Bettzeug an der Rezeption, 6-Bett-Zimmer, Bad auf dem Flur, aber nach dem Aufstehen und Packen ein sehr reichhaltiges Frühstücksbuffet vom Feinsten.
Die Bergkulisse, nackter Fels, begleitet uns nur die ersten 50km und geht später in Hügelland über. Immer auf Schotterwegen fahren wir 130km bis nach Illertissen, wo wir wegen eines drohenden Gewitters auf einem Campingplatz übernachten. Diese Übernachtung im Zelt wird auf unserer Reise die einzige sein. Das Schlafen auf einer dünnen Isomatte auf hartem Untergrund ist nichts mehr für einen alten Mann (61). Daher bemühen wir uns in der Folge bereits am späten Vormittag, wenn wir das nächste Ziel festlegen, telefonisch oder per Internet um die abendliche Unterkunft im Hotel.
Jugendherbergen fahren wir auf gut Glück an, und so müssen wir leider auf Grund der geschlossenen Herberge in Aalen noch kurz umdisponieren, finden aber glücklicherweise in Wasseralfingen noch eine rustikale Absteige für die Nacht. Da die Besitzer am nächsten Tag zeitig in den Urlaub fahren wollen, sitzen wir schon früh auf dem Rad. Das Frühstück, beim nächsten Bäcker eingekauft, verzehren wir unterwegs auf einem Waldrastplatz. Schön, so frei zu sein.
Wir kommen durch eine recht hügelige Gegend und erreichen unsere höchste Geschwindigkeit von 63,5 km/h! An einen Sturz mag man hier nicht denken. Was wir uns an Höhe erarbeitet haben, genießen wir auf der Abfahrt ins Tal der Tauber. Dort liegt auch das Ziel: Creglingen. Bei Ankunft liegt die Restreichweite des E-Bike-Akkus bei 0 km – gutes Timing!
In den kommenden Tagen haben wir das Glück, auf stillgelegten und asphaltierten alten Bahntrassen zu fahren, auf dem Gaubahnradweg zum Main bis nach Würzburg und am Folgetag durch das schöne Sinntal.
Die Querung der Rhön, nach dem besten Jugendherbergsfrühstücksbüfett der Welt (!!), zeigte sich als anstrengendste Etappe. Ich dachte nicht, dass wir die Ausgangshöhe in Oberstdorf (790 m) bei unserem Etappenziel Gersfeld nochmal fast wieder erreichen (750 m) und das bei Nieselwetter und Regen.
Der nächste Morgen begrüßt uns mit Sonnenschein über den Bergen! Gut gestärkt geht’s los, aber hinter der nächsten Ecke kommt der Knaller: In nicht einmal 10 Minuten 150 Höhenmeter und in der Folge 390 Höhenmeter in einer halben Stunde, da kommt doch fast das Frühstück wieder hoch! Glücklicherweise führt uns der Ulstertalradweg abwärts und bis Rotenburg/Fulda ist es ein recht bequemes Reisen. Wie an jedem Abend feiern wir uns mit einem kühlen Bier aus der Region.
Auf der nächsten Tagesetappe gibt es zwei kleine Highlights: die mit 75 m Höhe und 1450 m Länge zweitlängste Eisenbahnbrücke Deutschlands und wenig später die Fuldaquerung mit einer handbetriebenen Seilfähre. Bis zum Ziel, Helmarshausen an der Diemel, liegt noch eine Straußenfarm am Wegesrand.
Ich will einmal eine kleine Anmerkung zu der körperlichen Belastung während der Tour machen. Wir fahren zwar beide ein E-Bike mit relativ großen Akkus, aber ab einer Geschwindigkeit von 25 km/h erfolgt keine Unterstützung mehr, und wir legen unser Vorhaben auf Geschwindigkeit aus. Unterwegs hatten wir bis auf einen Wespenstich in den Oberschenkel keine körperlichen Probleme. Da hilft es sicher, dass wir uns bemühen, alle Stunde eine Trinkpause einzulegen und eine Kleinigkeit (Müsliriegel, Bonbon, Würstchen, Apfel usw) zu essen. Wir frühstücken reichlich, kehren mittags zu einem warmen Essen ein und essen auch abends gut. Trotzdem hat mich die Tour am Ende nur ein Kilogramm Gewicht gekostet.
Der gestrige letzte Anstieg zur Jugendherberge verhilft uns heute zu einem 55-km/h-Start. Weserabwärts führt uns der Weg nach Hameln und weiter nach Springe. Das von unterwegs telefonisch gebuchte Hotel dort liegt unscheinbar in der Ladenstraße. Die Front ist nur eine Doppeltür breit, und die Fahrräder müssen wir eine Etage hochtragen und unter einer Treppe abstellen. Hier übernachten wir für zusammen 99 € inclusive Frühstück. Die teuerste Jugendherbergsvariante kostete 126 €!
Die Königsetappe der Radtour (142 km) entpuppt sich hinter Hannover landschaftlich gesehen als Rohrkrepierer – 100 km nur Bundesstraße und endlose Kiefern- und Birkenwälder. Da stimmt uns am Ende das Abendessen in Uelzen noch einigermaßen versöhnlich.
Die Kanaltour am nächsten Tag ist auf Dauer eine sehr langweilige Angelegenheit. Streckenweise über Kilometer wie mit dem Lineal gezogen bietet auch das umliegende Land wenig Neues fürs Auge. Glücklicherweise bieten das Schiffshebewerk in Scharnebeck, die Elbquerung bei Lauenburg und die Schleusen am Elbe-Lübeck-Kanal eine kleine Abwechslung. Da Florians Freund uns in Sierksrade eine Übernachtung mit abendlichem Grillen angeboten hatte, können wir uns auf einen versöhnlichen Tagesausklang freuen.
Irgendwie bedauern wir ein wenig, dass auf Grund der Prämisse, die Radtour als schnelle und nicht als schöne Strecke zu fahren, das Navi uns des Öfteren an Landes- und Bundesstraßen entlangführt. Nach einer Mittagspause am Plöner See erreichen wir am frühen Nachmittag die Jugendherberge Kiel. Dort verlassen zum Abend Schiffe der Stenaline und der Aida den Hafen.
In Kiel beginnt der letzte Tag der Fahrradtour. Ab Eckernförde geht es auf ruhigen, bekannten Nebenstrecken über Missunde, Böklund, Großsolt bis an die Flensburger Förde. Nach einem kühlen Hellen und einem rustikalen Mittagsgericht in Hansens Brauerei war die Schlussetappe nur noch eine Kleinigkeit.
Nach 12 Tagen, 1325 km Strecke, 8463 Höhenmetern und 61 Stunden im Sattel erreichen wir Schnarup-Thumby. Diese Radtour hatten wir als sportlich deklariert und entsprechend wenig nach links und rechts gesehen. Eine nächste Tour würde ich mit mehr „Sightseeing“ verbinden. Es war eine wunderbare Vater-Sohn-Tour.
Claus Wilhelm Scheurer