Diesmal hat es mit weißen Weihnachten mal wieder nicht geklappt. Ich frage mich, wieso sich die Menschen eigentlich weiße Weihnachten wünschen. Nur wegen der Romantik?
Wenn es anfängt zu schneien, zuerst ganz zaghaft mit ein paar Flocken, dann immer mehr, wird allmählich alles zugedeckt, was trostlos ausgesehen hat. Die kahlen Felder mit den Fahrspuren, Furchen und Senken voller Wasser, der abgearbeitete Garten – alles hat irgendwie gewartet auf diese tröstliche Decke aus Winterwatte. Es ist, als wäre plötzlich alles verwandelt in etwas Friedlicheres. Eine ganz andere Welt entsteht. Es sieht ja auch schön aus, so eine weiße Landschaft, die Sonne und der blaue Himmel darüber. Wunderschön!
Es kann aber auch ganz anders kommen! So war es, als die Schneekatastrophe kam. Ich wohnte zu der Zeit mit meinem Sohn in Kappeln, in der Gerichtsstraße, gegenüber dem damaligen Amtsgericht in einer kleinen Wohnung im ersten Stock. Direkt unter uns befand sich eine Garage. Es war nicht meine. Mein alter R4 stand auf der Straße. Weihnachten war vorbei, wie meistens mit Schmuddelwetter. Es war Silvester, der Jahreswechsel 78/79. Ich hatte ein paar Knallkörper besorgt. Auf’s Knallen freute sich mein Sohn. Es gab dort einen Balkon, der für alle Mieter zugänglich war. Dort wollten wir unsere Feuerwerkskörper anzünden. Es fing über Tag schon wieder an zu regnen, dann stürmte es auch noch. Es entwickelte sich ein immer stärker werdender Sturm aus Richtung Ost. Aus dem Regen wurde Schnee. In unserer Wohnung standen drei Ölöfen. Ich musste das Öl aus einem Keller holen und mit einer Handpumpe aus dem Ölfass in eine Kanne abpumpen, zu uns nach oben die Treppe hochschleppen und die Öfen befüllen. Das war nicht gerade ein Vergnügen. Es stank überall nach Öl, die Finger wurden dreckig. Das Ingangsetzen der Öfen klappte auch nicht auf Anhieb. So lange wohnte ich dort noch nicht, die Öfen waren mir noch nicht so recht vertraut. Ich befüllte unsere Öfen also noch. Weil das Wetter so schlecht war, wurde ich natürlich auch nass. Um zum Öl-Keller zu gelangen, musste man das Haus verlassen. Die Türen schlugen vom Sturm zu. Ich war froh, als es erledigt war. Mit der Knallerei würde es nichts werden; der Sturm heulte ums Haus. Mein Sohn war sauer und sehr schlecht gelaunt. Er hatte es sich anders vorgestellt. Aber niemand ging nach draußen. Aus dem Haus gehen war kein Thema, und Feuerwerk anzünden schon gar nicht.
Am Morgen war alles weiß. Mein Auto war nicht mehr zu sehen. Es stürmte und schneite, ein Orkan hatte sich entwickelt. Und es wurde richtig schlimm. Wir in Kappeln bekamen das meiste nur aus dem Radio und dem Fernsehen mit. Wir hatten keinen Stromausfall. In der kleinen Stadt herrschte eine ganz andere Lage als auf dem Land. Ich musste auch nicht mit dem Auto zur Arbeit; ich hatte einen Job in einem Blumengeschäft in der Arnisser Straße. Dahin waren es gut fünf Minuten zu Fuß. Autofahren war sowieso unmöglich und es gab dann auch ein Fahrverbot. Günstig erwies sich die Tatsache, dass Schulferien waren. Meine Mutter und ich telefonierten oft. Bei ihr war zum Glück alles in Ordnung, Mein Sohn hatte eigentlich in den Ferien zu ihr wollen.
Die Schneekatastrophe, das Jahrhundertereignis! Es gibt Filme darüber. Mein Mann kann darüber auch viel erzählen, wie die Schnaruper es erlebt haben. Jungen aus der Nachbarschaft waren unterwegs, um beim Boelschubyer Bäcker Brot für alle zu besorgen. Sie kämpften sich zu Fuß über die Felder durch. Die Straßen waren vollkommen dicht. Überall türmte sich der Schnee hoch auf. Nachbarn halfen sich gegenseitig. Die Landwirte hatten es besonders schwer. Erst recht dort, wo der Strom ausgefallen war. Anfangs konnte tagelang keine Milch abtransportiert werden. Schrot zum Füttern der Tiere konnte nicht gebracht werden. Schneeräumgeräte aus Bayern wurden angefordert. Das Militär musste mancherorts helfen. Hubschrauber holten schwangere Frauen ab und brachten sie in die Klinik. Schnee wurde geschaufelt, Menschen taten sich zusammen; irgendwie musste man ja in die Häuser kommen oder hinaus. Plötzlich war alles nicht mehr normal. Als alles wieder einigermaßen normal geworden war, kam im Februar noch einmal ein Schneesturm. Nicht ganz so schlimm. Aber es war ein sehr herausfordernder Winter. In Kappeln lagen außerhalb der Innenstadt riesige Schneeberge. Der Schnee musste ja irgendwo hin, raus aus der Stadt geschafft werden. Es dauerte sehr lange, bis die letzten Schneereste geschmolzen waren.
Schneewinter sind selten geworden. Weiße Weihnachten auch. Es gibt hier in Angeln so einen Schnack: „De Fasslaamsfüük kümmt noch!“ – was so viel heißt wie: „Die Schneeverwehung im Februar zur Karnevalszeit, die wird noch kommen!“ –
Manchmal stimmt das tatsächlich. Und ich war auch schon während meiner Dienstzeit an einem Ostermontag morgens früh um sechs Uhr im Schneefüük unterwegs. Wenn es jetzt mal ein paar Tage schneit, dann wird schon von einem Schneechaos geredet. Das Wetter kann für Überraschungen sorgen. Warten wir es mal ab.
Ich sage herzlichen Dank für die zahlreichen guten Rückmeldungen zu meinen Geschichten und wünsche allen meinen Lesern und dem Team von der 5W ein gesundes neues Jahr.
Herta Andresen