Früher sehr beliebt: Taschentücher zum Geburtstag

Wo kann man heutzutage noch „richtige“ Taschentücher kaufen? Früher bekam man sie zum Geburtstag! Das waren meine Gedanken, als ich dabei war, einige Schubladen aufzuräumen, unter anderem auch meine Taschentücher-Schublade. Ich besitze noch eine ganze Menge Stofftaschentücher. Natürlich sind sie sehr alt, und einige davon sind fast so alt wie ich selber. Eine ganze Menge davon sind umhäkelt; die meisten hat meine Mutter noch liebevoll gestaltet. Solche feinen Handarbeiten waren oft ein Mitbringsel zu Kaffee-Einladungen und Geburtstagen.
Mir kommen Kindergeburtstage in den Sinn. Es ist so lange her! Vor ein paar Wochen bin ich 76 Jahre alt geworden. Weil ich Anfang Januar geboren bin, war mein Geburtstag immer kurz nach Weihnachten. So bekam ich öfter am Weihnachtsabend zu hören: „Dat ist glieks mit to dien Geburtsdag!“, wenn es etwas „Größeres“ war, zum Beispiel mein erstes eigenes Fahrrad. Ich musste das von meiner Oma nicht mehr benutzen, um zur Schule zu radeln. Zum Geburtstag gab es dann nur noch ein Buch, was ich mir aber meistens auch gewünscht hatte. Wenn Kindergeburtstag gefeiert wurde mit den Mädchen aus der Schulklasse oder auch aus der Nachbarschaft, dann brachte jede ein kleines Geschenk mit, meist die beliebten „Katzenzungen“ und Zitronenstäbchen oder Lakritz, aber auch Buntstifte, Malbücher oder hübsche Stofftaschentücher. Sammeltassen waren auch beliebte Geschenke – bei mir eher nicht. Die wurden ja sowieso in irgendeinen Schrank gestellt, für „später“! Mein schönstes Geschenk war das Poesiealbum, das ich heute noch besitze. Ein wahrer Erinnerungsschatz.
In unserer Nachbarschaft waren wir vier Mädchen, nicht alle gleich alt, aber das spielte keine Rolle. Also wurde viermal zum Geburtstag eingeladen. Ingrid hatte wie ich im Januar Geburtstag. Sie wohnte in Lacheby, einen guten Fußmarsch von uns entfernt, fast schon die halbe Strecke nach Kappeln. Ihr Vater war der „Weihnachtsmann“. In jedem Jahr übernahm er dieses Amt im Gasthaus Boddelhoch, wo die Schul-Weihnachtsfeier stattfand. Jeder konnte sehen, dass er einen falschen Bart trug, denn im Nacken war ein breites Gummiband zu sehen. Aber wenn ich ihn zu Hause bei Ingrid erblickte, war trotzdem etwas Respekt vorhanden.
Wir Kinder aßen alle gerne Kuchen. Davon gab es zu den Kindergeburtstagen überall immer reichlich. Sehr gern mochte ich die sogenannten Schaumküsse und Torte sowieso. Dazu wurde Kakao oder Brause serviert. Nach der „Kuchenschlacht“ ging`s bei trockenem Wetter meist nach draußen. Die Kinderbelustigung regelten wir selber. Es wurden verschiedene Spiele gespielt, und sehr beliebt war die Schnitzeljagd, auch Zettelverstecken genannt. Wir streiften durch die nahe gelegenen Wäldchen, liefen auf den Feldwegen entlang und zu den Bahnschienen der Kreisbahn. In der Nähe von Ingrids Elternhaus gab es ein Moor. Wir wurden immer ermahnt, dort nicht hinzugehen. „Dat Moor is gefährlich, ut son Moorkuhl kümmt man nich wedder rut!“ Trotzdem konnten wir es nicht lassen, dort am Rand von Busch zu Baum über den gefrorenen Boden und die Eispfützen zu springen. Wir waren aber sehr vorsichtig, denn die Vorstellung, dort irgendwo in einer Kuhle zu versinken, machte doch Angst. Zurück im Haus gab es zum Abschluss meistens Kartoffelsalat und Würstchen. Dann gingen wir nach Hause, nachdem wir uns von Ingrids Eltern ordentlich verabschiedet und uns bedankt hatten. Es war natürlich schon dunkel, aber wir hatten Taschenlampen dabei, und wir waren ja zu dritt unterwegs. Zuerst war Maria zu Hause, dann bog ich rechts ab in einen Feldweg und Helga ging alleine weiter, nur ein kleines Stück auf der Bundesstraße entlang. Ich musste noch durch den Wald und hatte es dabei doch sehr eilig. Niemand wurde irgendwohin gefahren. Weitere Entfernungen mussten mit dem Fahrrad bewältigt werden. Der weiteste Weg war der zu einer Schulfreundin nach Karschau an die Schlei. Kein Problem auf dem Hinweg. Aber auf dem Nachhauseweg, falls es schon dunkel war, trat ich immer sehr in die Pedale. Man musste an der sogenannten Düwelseck vorbei. Meine Fantasie war zu groß. Aber es half ja nichts, wenn wir irgendwo hinwollten, dann musste man ein bisschen Angst in Kauf nehmen. Das ging wohl nicht nur mir so.
Um noch einmal auf die Taschentücher zurückzukommen: Es gibt sie immer noch, die dekorativ eingepackten Taschentücher, in Geschenkaufmachung. Ich habe sie im Internet gefunden. Aber ob sie noch zu Kindergeburtstagen verschenkt werden, das bezweifle ich. Eigentlich sind Stofftaschentücher ja sehr nachhaltig! So mancher will aus Prinzip keine Wegwerf-Taschentücher benutzen. Das ist auch in Ordnung, Ich gebrauche zwar inzwischen – fast – nur noch Papiertaschentücher. Ich habe aber in meiner Handtasche neben den üblichen „Tempo“ auch immer eins aus Stoff. Natürlich mit Häkelspitze.
Herta Andresen